Der Anlagehorizont
– Wann muss ich über wie viel Geld verfügen können?
Der Anlagehorizont entscheidet, welcher Teil des Vermögens höchstens in schwankungsintensive Anlagen investiert werden kann, wenn ein Verlust zum Ende des Anlagehorizontes möglichst vermieden werden soll.
Wir haben bereits gesehen, dass manche Anlageklassen kurzfristig deutlichen Wertschwankungen unterliegen können. Je länger aber beispielsweise Aktien gehalten werden, umso mehr nähert sich die erzielte Rendite der Anlageklasse ihrem langfristigen Mittelwert an.
Es ist also für den Anleger nicht unerheblich, mit welchem zeitlichen Horizont er seine Anlagen plant: wer sein Geld die nächsten 10 Jahre nicht benötigt, kann mit einem höheren Anteil wertschwankungsintensiverer Anlagen (z.B. Aktien) planen und damit voraussichtlich eine höhere Rendite erzielen. Wer sein Geld in 2 Jahren benötigt, sollte mit einem geringeren Anteil schwankungsintensiver Anlagen planen, um sich nicht gezwungen zu sehen, im Falle eines Bärenmarktes den größten Teil seiner Positionen zu Niedrigstpreisen zu verkaufen.
Bernstein (2001) empfiehlt folgende Faustformel:
Maximaler Anteil Aktien = Anzahl der Jahre des Anlagehorizontes x 10.
Beispiel: Wer in 2 Jahren sein Geld benötigt, würde seinen Aktienteil auf max. 20% begrenzen. Wer frühestens in 7 Jahren auf sein Vermögen zurückgreifen muss, kann bis max. 70% in Aktien halten.
Nach dieser Faustformel wird ebenfalls deutlich, dass der Anteil an wertschwankungsintensiven Papieren sukzessive reduziert werden sollte, je mehr man sich dem Ende des Anlagehorizontes nähert.
Ergänzt man die obige Formel um das Postulat der Portfoliotheorie auf jeden Fall zu diversifizieren, kann ein höherer Anteil als 80% bzw. ein geringerer Anteil als 10% an wertschwankungsintensiven Anlagen nur in Ausnahmen in Betracht kommen. Die Portfoliotheorie zeigt bekanntlich, dass das Gesamtrisiko sinkt und die Gesamtrendite steigt, wenn Anlageklassen kombiniert werden, die nicht vollständig korrelieren.
Folgt man dieser Logik, ergibt sich eine obere Grenze für schwankungsintensive Anlagen je nach persönlichem Anlagehorizont wie folgt:
Anlagehorizont (Jahre) | 1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6 | 7 | 8 | 9 | 10+ |
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
Max. Anteil Aktien (%) | 10 | 20 | 30 | 40 | 50 | 60 | 70 | 80 | 80 | 80 |
Diese Werte sind nur eine Möglichkeit von vielen, sich diesem Thema zu nähern. Siegel (2007, S. 43) zeigt beispielsweise einen Korridor auf, in dem der ‚Ultrakonservative’ Anleger, der sein Risiko minimieren möchte, nur ca. die Hälfte der obigen Anteile wählt, der chancenorientierte Anleger mit langem Horizont (>10 Jahre) sogar mehr als 100% Aktien wählen sollte, d.h. sich sogar verschulden sollte, um sich in Aktien zu engagieren.
Zudem wird immer die persönliche Situation zu berücksichtigen sein. Wer einen kurzen Anlagehorizont von beispielsweise weniger als 3 Jahren hat und zudem einen nominalen Verlust am Ende des Anlagehorizontes ausschließen möchte, weil er den Anlagebetrag benötigt um einen Kredit zu tilgen, der sollte überlegen auf Aktien vollständig zu verzichten oder Aktien nur in ganz geringem Umfang beizumischen, wie wir im Kapitel zur Anlagekongruenz gesehen haben.
Häufig unterschätzen Anleger ihren Anlagehorizont (vgl. z.B. Fischer, 2007). Ereignisse, wie beispielsweise der Eintritt ins Rentenalter, betrachten viele als Zäsur, und sehen sich veranlasst, nun das Risiko (und damit die Renditechancen) zu reduzieren. Doch selbst bei Eintritt ins Rentenalter besteht das Vermögen noch viele Jahre fort, sogar oft über den eigenen Tod hinaus. Wenn Sie einem Lebenspartner, der Sie überlebt oder Ihren Kindern etwas hinterlassen wollen, so verlängert auch das den Anlagehorizont.
Ab einem bestimmten Zeitpunkt auf regelmäßige Ausschüttungen angewiesen zu sein, ist ebenfalls nicht unbedingt ein Grund seine Vermögensstruktur zu verändern. Auch mit Aktien lassen sich regelmäßige Ausschüttungen erzielen. Aber selbst wenn man seinen monatlichen Bedarf dem Kapitalstock entnimmt, so hat der gesamte Rest des Vermögens in der Regel noch einen sehr langen Anlagehorizont. Wir zeigen später Methoden (vgl. Rebalancing), mit denen man sich selber sehr gut eine regelmäßige Auszahlung aus dem Kapitalstock zukommen lassen kann, ohne an seiner Vermögensstruktur grundsätzlich etwas zu verändern. ‚Kurz gesagt: Ihr Anlagehorizont ist gleich der Zeitspanne, die ihr Vermögen weiter bestehen muss’ meint Ken Fischer, einer der erfolgreichsten Vermögensverwalter der USA.
- Der Anlagehorizont entspricht der Zeitspanne, die Ihr Vermögen weiter für Sie arbeiten kann bzw. soll.
Ist der Aktienanteil abhängig vom Lebensalter?
Oft wird in der Beratung auf die Faustformel ‚100 – Lebensalter’ verwiesen, mit der der Anleger den maximalen Anteil schwankungsintensiver Anlagen bestimmen kann. Einerseits bestätigt diese Formel an den Randpunkten die Erkenntnisse der Portfoliotheorie: auch ein 20-jähriger würde danach nicht mehr als 80% in Aktien halten und auch ein 80-jähriger noch 20% Aktien dem Depot beimischen. Warum sollte aber ein 30-jähriger einen anderen Mix wählen, als ein 40-jähriger?
In der Literatur findet sich in der Tat die Meinung, dass ein jüngerer Mensch renditeorientierter anlegen kann, als ein älterer (vgl. Ibbotson et al., 2007). Es wird argumentiert, dass dem jungen Menschen noch hinreichend Optionen bleiben einen möglichen Verlust aus Kapitalanlagen auszugleichen, beispielsweise durch zukünftiges Arbeitseinkommen oder eine höhere Sparquote. Die Summe des zukünftig erwartbaren Arbeitseinkommens ist bei einem jungen Menschen größer.
Diese Argumentation scheint zunächst plausibel, ignoriert aber die Erkenntnis der Verhaltensökonomie, dass ein Verlust etwa doppelt so stark schmerzt, wie ein vergleichbar hoher Gewinn (Loss Aversion), – und zwar unabhängig vom Lebensalter. Auch für einen jungen Anleger dürfte ein Verlust kaum dadurch erträglicher werden, dass er diesen durch zukünftiges Arbeitseinkommen und zusätzliche Sparleistung auszugleichen vermag.
Demgegenüber wird eine Orientierung am Anlagehorizont der emotionalen Bedeutung von Verlusten gerecht: das Vermögen wird vorsorglich so strukturiert, dass ein Verlust am Ende des Betrachtungszeitraumes mit einer hohen Wahrscheinlichkeit vermieden werden kann (man gleichzeitig aber an Renditechancen bestmöglich partizipiert). Somit wird das zukünfige Arbeitseinkommen mit hoher Wahrscheinlichkeit gar nicht zur 'Heilung' von Anlageverlusten benötigt, d.h. es wird nicht mit dem zukünftigen Arbeitseinkommen spekuliert, obwohl es real zur Verfügung steht.
Im Weiteren werden wir, wie in der Tabelle vorgestellt, die Aktienquote in Abhängigkeit vom jeweiligen Anlagehorizont betrachten. Gerade wenn Anleger Verluste vermeiden wollen (Loss Aversion), bieten Anleihen (nur) über einen kurzen Betrachtungszeitraum einen höheren Nutzen als Aktien. Mit zunehmender Länge des betrachteten Renditeintervalls nimmt das Verlustpotential bei Aktien stark ab (vgl. Siegel, 2007). Der Nutzen von Aktien überwiegt den Nutzen von Anleihen.
Der Anlagehorizont bestimmt, welcher Anteil des Vermögens maximal in schwankungsintensive aber renditestärkere Anlagen investiert werden darf, wenn ein Verlust am Ende des Anlagehorizontes mit hoher Wahrscheinlichkeit vermieden werden soll. So kann man an Renditechancen partizipieren ohne 'Kopf und Kragen' zu riskieren.
Nähert man sich dem Ende des Anlagehorizontes, sollte das Risiko frühzeitig schrittweise zurückgefahren werden.
Lesen Sie weiter im nächsten Kapitel:
Die Risikotoleranz - welche Wertschwankungen stehe ich durch?
Literaturhinweise
Bernstein, W. J., 2001, The Intelligent Asset Allocator, McGraw-Hill.
Fischer, K., 2007, Das zählt an der Börse, FinanzBuch Verlag, S. 359.
Ibbotson, R. G., et al., 2007, Lifetime Financial Advice: Human Capital, Asset Allocation, and Insurance, The Research Foundation of CFA Institute, ISBN 978-0-943205-94-6.
Siegel, J., 2007, Stocks for the long run, 4th edition, McGraw Hill, S. 23ff, S. 34.