Der Value -/ Growth - Effekt bzw. das Value-Premium:
Warum schlechte Unternehmen die besseren Investments sind
‚Kaufen, wenn die Kartoffeln günstig sind!’ - Nach diesem Motto versuchen Value-Investoren Aktien zu identifizieren, die aktuell deutlich unter ihrem ‚wahren’ Wert zu haben sind, daher auch als Substanzwerte bezeichnet. Empirische Studien zeigen, dass Value-Aktien überdurchschnittlich hohe Renditen abwerfen. Doch Vorsicht! Value-Unternehmen sind meistens krisengeschüttelte Firmen mit schlechter Zukunftsperspektive. Das Gegenteil von ‚Value’ sind sogenannte ‚Growth’-Aktien: Unternehmen, von deren exzellenten Zukunftsperspektiven nahezu alle überzeugt sind.
Als ‚Vater’ der fundamentalen Wertpapieranalyse gilt heute Benjamin Graham, der 1934 mit ‚Security Analysis’ und 1949 mit ‚The Intelligent Investor’ die ‚Bibel’ des Value- Investings schrieb, auch Basis für sogenannte Contarien-Strategien.
Fundamentale Kennzahlen, die auf ‚Value’ hinweisen
Um zu erkennen, wann Unternehmen ‚billig’ zu haben sind, werden fundamentale Kennzahlen des Unternehmens herangezogen und in der Regel in Bezug zum aktuellen Preis der Aktie, dem Aktienkurs, gesetzt.
Kurs/Buchwert-Verhältnis (KBV), auch Buchwert/Kurs (Book-to-Market)
Die Variable Kurs/Buchwert (KBV) setzt den Kurs der Aktie ins Verhältnis zu dem Buchwert des Unternehmens pro Aktie. In den meisten wissenschaftlichen Studien wird mit dem inversen Wert gearbeitet (Buchwert zu Kurs; engl. Book-to-Market), was inhaltlich keinen Unterschied macht.
Der Buchwert hat als Kennzahl den Vorteil, dass er im Zeitablauf eine relativ stabile Größe ist. Er repräsentiert den Substanzwert des Unternehmens: dieser Wert sollte sich in etwa erzielen lassen, wenn das Unternehmen morgen aufgelöst würde. Kursschwankungen machen so besonders deutlich, wann ein Unternehmen teuer, und wann es niedrig bewertet ist. Günstig bewertete Unternehmen werden daher auch als Substanzwerte bezeichnet.
Rosenberg (1985) waren die ersten, die mittels Buchwert / Kurs eine Überrendite für Substanzwerte nachgewiesen haben.
Ikenberry (1995) zeigen, dass sich die Überrendite der Substanzwerte weiter steigern lässt: Substanzwerte, die zudem Aktienrückkäufe angekündigt haben, erzielen in den kommenden 4 Jahren eine deutliche Überrendite gegenüber Substanzwerten ohne Aktienrückkäufe. In Aktienrückkäufen sehen sie eine Bestätigung, dass selbst das Management das eigene Unternehmen für unterbewertet hält.
Kurs/Gewinn-Verhältnis (KGV)
Das Kurs/Gewinn-Verhältnis (KGV), engl. Price/Earnings Ratio (P/E Ratio), setzt den Kurs der Aktie ins Verhältnis zum Gewinn des Unternehmens je Aktie.
Beide Kennzahlen, sowohl der Kurs als auch der Gewinn unterliegen erfahrungsgemäß größeren Schwankungen; beide können dafür verantwortlich sein, warum ein Unternehmen gerade als teuer oder billig gilt. So ist ein hohes KGV sowohl für Wachstumswerte (Growth-Aktien) als auch für Aktien mit ungewöhnlich niedrigem Gewinn charakteristisch.
Basu (1997) stellte die erste Langfriststudie vor, mit der er den Value-Effekt auf Basis des KGV nachwies.
Dividenderendite
Die Dividendenrendite setzt die Dividende pro Aktie ins Verhältnis zum Kurs der Aktie (Dividend/Price Ratio, D/P). Nur wenige Studien widmen sich der Dividendenrendite als Kennzahl für Value- und Growth-Aktien (z.B. FF (1993)), und stellen fest, dass diese Kennzahl in eine ähnliche Richtung weist wie beispielsweise das KGV. Für den deutschen Markt kommen Kotkamp/ Otte (2001) zu dem Ergebnis, dass eine auf der Dividendenrendite basierende Strategie zwischen 1961-1998 um 2,5 bis 7,9 Prozent höhere Renditen erzielten als der DAX.
Dies mag überraschen, ist doch die Dividendenrendite im Vergleich zu Book-to-Market und KGV, eine eher ‚politische’ Größe: bei gleichem Gewinn pro Aktie kann das eine Unternehmen sich entscheiden eine höhere Dividende auszuschütten, das andere eine geringe (oder gar keine). Das macht das eine Unternehmen noch nicht zum ‚Substanzwert’, und das andere nicht zum Wachstumswert (vgl. auch Kapitel Dividenden-Strategie). Wie die oben bereits erwähnte Studie von Ikenberry (1995) zeigte, kann auch eine Gewinnverwendung zu Aktienrückkäufen für den Aktionär Rendite schaffen.
Welches ist die beste Kennzahl um Value - Aktien zu identifizieren?
Die Variable Book-to-Market (Buchwert/Kurs) ist die wohl am besten untersuchte Kennzahl. Zahlreiche Studien, die verschiedene Kennzahlen verglichen haben, bestätigen die hohe Aussagekraft des Kurs/Buchwert-Verhältnisses (vgl. Chan (1991), FF (1993)). Auch das Kurs/Cash-Flow Verhältnis erzielt exzellente Werte. Gleichzeitig wird widerholt festgestellt, dass auch andere Kennzahlen, wie KGV und Dividendenrendite, ähnliche Ergebnisse liefern.
Wir waren bisher sehr zurückhaltend damit, das jeweils gemessene Value-Premium in konkreten Zahlen zu benennen. Zum einen ist die beobachtete Rendite je nach Periode recht unterschiedlich. Zum anderen wird die tatsächlich erzielbare Rendite stark davon abhängen, nach welcher Methode der Indexanbieter die Aktien nach ‚Value’ und ‚Growth’ klassifiziert. Dies erfolgt teilweise deutlich anders, als dies die wissenschaftlichen Studien nahelegen. Es empfiehlt sich daher, die zur Verfügung stehenden Value-Indizes genauer auf ihre Eigenschaften zu überprüfen (vgl. Kapitel ‚Index wählen’).
Warum Value - Aktien eine höhere Rendite erzielen
FF versuchen den Value – Effekt rational zu erklären: schon der niedrige Kurs selber wird für ‚kriselnde’ Unternehmen zur zusätzlichen Gefahr, da die Unternehmensfinanzierung deutlich teurer wird oder gar ganz gefährdet ist. Nicht nur Banken verlangen von solchen Firmen höhere Kreditzinsen. Auch die Aktionäre verlangen von solchen Firmen eine höhere Rendite – und der Markt bezahlt sie.
Zuletzt mehren sich die Stimmen, die den Value-Effekt vor allem verhaltensökonomisch erklären. Schon De Bondt / Thaler (1987) haben gezeigt, dass die Verlierer-Aktien der Vergangenheit zu den Gewinnern in der Zukunft werden (und umgekehrt, die Gewinner der Vergangenheit zukünftig eher unterdurchschnittliche Renditen abwerfen), und dies mit dem Verhaltensmuster der Übertreibung (Overreaction- Bias, vgl. Kapitel Psychologische Fallen) erklärt. In diese Richtung deutet auch eine Untersuchung, die einen engen Zusammenhang zwischen Unternehmensmeldungen und dem Value - Premium herstellt (La Porta (1997)). Bei ‚Glamour’ - Aktien sind die Erwartungen hoch; Unternehmensmeldungen haben eher das Potential, die hochgesteckten Erwartungen zu enttäuschen. Dagegen sind bei Value - Aktien die Erwartungen eher gering; Unternehmensnachrichten überraschen häufiger positiv und lassen die Kurse steigen. Gute Unternehmen sind oft schlechte Investments, schlechte Unternehmen sind oft gute Investments. Erfolgreiche Unternehmen werden offensichtlich zu positiv, und Unternehmen, die jeder für ein schlechtes Investment hält, offensichtlich zu negativ beurteilt. Chancen und Risiken werden offensichtlich systematisch falsch eingeschätzt, in beide Richtungen. Chan / Lakonishok (2004) fassen zusammen, dass die Renditedifferenz des Value - Effekts kein echtes Risiko spiegelt, sondern das Ergebnis von irrationalen Verhaltensmustern ist.
Was so einfach und logisch daherkommt, ist in der Praxis unendlich schwer umzusetzen. Machen Sie sich einmal bewusst, was es heißt, sein Geld in Value – Aktien zu investieren: Value - Aktien sind Unternehmen, über die sich wirklich alle einig sind, dass das ein schlechtes Investment ist, dass diese Firma wohl nie mehr ‚die Kurve kriegen wird’. Bernstein (2000) meint, Value – Investing fühlt sich an, wie sein Geld in den Straßengully zu kippen.
Profis dürften Value – Investing noch viel weniger umsetzen können. Warum sollte ein Fondsmanager seine Karriere riskieren und Aktien kaufen, die all seine Kollegen, sein Vorgesetzter und seine Kunden für ein mieses Investment halten? Was würden Sie von einem Finanzberater halten, der er Ihnen permanent empfiehlt in Unternehmen zu investieren, die andere Finanzprofis, die Medien und selbst Ihre Freunde für schlechte Unternehmen halten? Eben – genau deshalb sollten die Märkte auch in Zukunft den Mutigen ein Value-Premium bezahlen.
Vertiefung fortsetzen:
Der Small Cap Effekt - mit kleinen Unternehmen das Depot diversifizieren.
Oder gleich weiter zum nächsten Kapitel:
Steuern sind auch Kosten. Steuern optimieren und so schneller das Anlageziel erreichen.
Literaturhinweise
Einen exzellenten Überblick über die wichtigsten Studien zum Thema Value-Investing gibt die:
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